9. Ämterchaos - Unerwartete Wendung

Gemalt. Waldweg, daneben rechts und links Tannen. Der Hintergrund neblig. Alles in violett-Tönen gehalten. Eher dunkel und wirkt dadurch magisch.
Die Straße durch den Feenwald. Freies Foto von Pixabay.

Miau und hallo, meine zauberhaften Leser*innen,

 

ich vermute, ihr seid schon gespannt, wie es weiterging mit Rosalie/Heinz (=> Geschichten 7 . Ämterchaos - Unerwartetes Wiedersehen und 8. Ämterchaos - Unerwartete Schwierigkeiten), oder?

Nun, ich hätte die Entwicklungen, die das alles nahm, ehrlich gesagt auch nicht erwartet. Als Erstes brachte ich natürlich Anna auf den Stand der Dinge und verabschiedete mich von ihr und den anderen. Mir war nicht wohl dabei, sie allein zu lassen, aber ich musste in den Zauberwald und Maxi, die junge Gorilla-Dame, die Vorsitzende des Rates der Magischen Tiere ist, von den Ereignissen in Kenntnis setzen. Waren die Unheilvollen wieder aktiv, war das nichts, was ich im Alleingang regeln konnte. So sprang ich also noch in derselben Nacht in die Magische Dimension und landete im Zauberwald. Direkt neben Snowflake, meinem Schneeleoparden-Freund, der praktischerweise just in diesem Moment von seiner Reise in der Funktion des magischen Chefdiplomaten zu den Trollen (jo, die haben wir auch) zurückkehrte.

 

Erleichtert ihn zu sehen, berichtete ich zunächst ihm, was passiert war. Dann gingen wir gemeinsam zu Maxi. Maxi – sie ist echt in Ordnung, aber manchmal so umständlich und bürokratisch und vor allem sooo unsicher. Wenn sie sich endlich mal zu einer Entscheidung durchgerungen hat, steht sie konsequent dazu, aber bis dahin …

 

So forderte sie – letztlich wenig überraschend – zunächst weitere Beweise, dass Rosalie wirklich zu den Unheilvollen gehört, bevor sie handeln wollte. Meine und Tassos Beobachtungen reichten ihr ärgerlicherweise nicht aus. In Anbetracht der Tatsache, dass Rosalies Schwester Mathilda (=> 5. Ein Elchabenteuer und seine Folgen) im Vorstand saß, fand ich das extrem problematisch: Unheilvolle sollten nun wirklich keinen Einfluss auf unsere Regeln, Entscheidungen und unser Zusammenleben haben – und außerdem war da ja noch Annas Sachbearbeiter*innen-Problem. Aber Maxi blieb stur, das war ihr alles zu wenig. Sie sicherte Snowflake und mir wenigstens Geheimhaltung zu, bis wir konkreteres vorlegen konnten.

 

Nachdem wir uns ein abgeschiedenes Plätzchen gesucht hatten, um uns ungestört zu besprechen, sah ich Snowflake ratlos an:

„Und wie machen wir das jetzt? – Wo zur Großen Katze im Himmel sollten wir Beweise dafür herbekommen, dass die Schwestern zu den Unheilvollen gehören? Steht denen ja schließlich nicht auf der Stirn geschrieben.“

 

„Konrad“, sagte Snowflake schlicht.

 

Oh, nee. Nicht Konrad. Konrad, das knurrende Killerkaninchen war legendär. Und mir nicht besonders sympathisch, trug er doch seinen Beinamen nicht so ganz umsonst. Konrad war einst aktives Mittier der Unheilvollen gewesen, hatte aber nach einem tragischen persönlichen Verlust die Seiten gewechselt und arbeitete mittlerweile seit Jahrzehnten als Spion für die Tiere im Zauberwald. Snowflake ignorierte mein Murren und schickte ihm kurzerhand eine Nachricht über magischen Funk, mit einem wesentlich schickeren Gerät als das, was ich dem armen Tasso dagelassen hatte. Und auch moderner als meins. Kurz war ich ein bisschen neidisch. Natürlich hatte Snowflake Recht, wenn eins wusste, ob die beiden Hyänen definitiv zu den Unheilvollen gehörten, dann Konrad, dennoch – ich hatte mich nie überwinden können, ihm wirklich zu trauen. Aber ich vertraute meinem Freund. Also hieß es jetzt abwarten, bis dieses Karnickel antwortete. (Leider darf ich euch kein Foto von ihm zeigen; es ist sehr auf Geheimhaltung und Privatsphäre und so bedacht. Naja, müssen Spione wohl auch.)

 

Wir nutzten die Zeit, um Snowflakes Mutter Mascha zu besuchen, und legten uns mit ihr gemütlich in die Sonne, die mittlerweile aufgegangen war. Das Schlaueste, was eins tun kann, wenn Warten angesagt ist. Neben Schlafen, Fellpflege und Futtern. Nur zwei Stunden später, ich war inzwischen eingedöst, tauchte neben uns eine der roten Riesenschnecken (unsere Post- und Paketbot:innen; => Elchabenteuer) auf, mit einem kurzen Brief für Snowflake: „Magischer Funk zu gefährlich. Treffen uns morgen Abend im Feenwald auf der großen Lichtung. K.“

 

„Das ist jetzt nicht sein Ernst, oder?“

Nachdem mir Snowflake die Nachricht vorgelesen hatte, war ich hellwach. Mascha lachte, wusste sie doch zu genau um meine Abneigung Feen gegenüber. Versteht mich nicht falsch, die sind schon okay, können Wünsche erfüllen und so Zeug. Aber mir gehen sie furchtbar auf den Keks, mit ihren glockenhellen Stimmen, ihrem lieblichen Gesäusel und ihrem Rumgeflatter – die bleiben selten mal stehen oder sitzen; macht mich ganz wuschig. Zu allem Überfluss wird mir von ihrer Magie außerdem immer etwas schwindelig. Und der Feenwald, an sich ein wunderschöner Ort, ist natürlich voll mit ihrer Magie. 

 

 

 

Während ich also rummotzte und Mascha mich liebevoll neckte, hatte Snowflake in Windeseile für uns zwei Lederbeutel gepackt und war quasi schon startklar.

„Merlin, du kannst unterwegs weiter meckern. Wenn wir es pünktlich zum Treffpunkt schaffen wollen, müssen wir direkt los. Konrad wird nicht auf uns warten.“

 

So verabschiedeten wir uns rasch von Mascha und verließen den Zauberwald. Bis zum Feenwald war es in der Tat eine ganz schöne Strecke – und da er innerhalb unserer Dimension liegt, mussten wir dorthin wandern. Nichts mit durch Raum und Zeit springen. 1,5 Tage waren knapp dafür, da hatte Snowflake schon Recht. Das würde ein strammer Marsch mit wenig Pausen werden. Dafür aber mit viel Zeit mit meinem besten Freund. Das war das Gute daran. Wir sahen uns mittlerweile so selten, dass wir uns unglaublich viel zu erzählen hatten, aus meinem Leben mit Anna & Co und seinem als Chefdiplomat. Spannend, sag ich euch. Spannend.

 

Wir legten nur wenige kurze Pausen zum Snacken und Schlafen ein und erreichten am Mittag des Folgetages den Feenwald. Die Luft flirrte bereits von der Feen-Magie, als wir uns ihm näherten – ein bisschen so wie die Luft an sehr heißen Tag in einer Großstadt in eurer Welt. Nur nicht so warm, natürlich. Ich wappnete mich mit Hilfe von ein bisschen Magie, so gut es ging, gegen den vermutlich gleich einsetzenden Schwindel und folgte Snowflake über die Grenze in den Feenwald hinein. Wir lagen gut in der Zeit, bis zu der Lichtung in der Mitte des Waldes waren es nur noch wenige Stunden.

 

Ja, der Feenwald ist riesig, genau wie unser Zauberwald. Aber da enden die Gemeinsamkeiten auch schon. Während wir alles demokratisch regeln, haben die Feen noch immer eine Königin. Eine Oberfee sozusagen. Soweit ich weiß, ist das seit Jahrhunderten dieselbe; ich bin ihr aber noch nie begegnet.

 

Der Wald selbst ist eigentlich sehr hübsch. Große, alte Bäume mit prächtigen Blüten. Ein einziges Farbenmeer – wirklich schön, aber der betörende Duft … nee, nicht meins. Snowflake dagegen war entzückt. Manchmal ist mein bester Freund echt seltsam; er kam aus dem Schnuppern überhaupt nicht mehr heraus. Hin und wieder begegnete uns eine Fee, die uns übertrieben freundlich, zumindest in meinen Ohren, begrüßte und uns übereifrig nach unseren Wünschen fragte. Während ich nur brummte, blieb Snowflake stets höflich. Er ist halt nicht umsonst im Diplomatischen Dienst.

 

Als es dämmerte, erreichten wir die Lichtung. Von Konrad noch keine Spur.

„Und jetzt? Wo steckt der Kerl?“, fragte ich.

„Jetzt warten wir. Er wird schon kommen.“ Snowflake ließ sich, die Vorderpfoten elegant untergeschlagen, auf der Lichtung nieder und entzündete ein kleines magisches Lagerfeuer. Im Feenwald wird es schnell kalt, sobald die Sonne untergegangen ist. Ich setzte mich zu ihm und versuchte, den Sonnenuntergang zu genießen, aber mir war echt zu schwindelig dafür.

 

Als der Mond voll am Himmel stand, hörten wir am Rande der Lichtung ein Geräusch – und nur eine Sekunde später saß er neben uns: Konrad, das knurrende (sehr große, weiße) Killerkaninchen. Seine Spezialität, quasi aus dem Nichts neben einem aufzutauchen, ist einer der Gründe, warum ich ihn ein bisschen gruselig finde. Einzig seine langen Schlappohren mag ich gern. Er kam sofort zur Sache und wandte sich an Snowflake:

 

„Ich hätte dich in den nächsten Tagen sowieso kontaktiert. Bei den Unheilvollen ist einiges im Gange. Allerdings fehlen mir noch entscheidende Informationen.“ Seine riesigen Vorderzähne blitzten im Mondlicht, während er weitersprach: „Ich weiß derzeit nur so viel: Es gibt eine neue Anführerin: Minna. Eine Meersau. Und sie plant, die Unheilvollen zu neuer Größe zu führen.“

 

Mir entfuhr ein Kichern. Eine Meersau an der Spitze der Unheilvollen?

 

Ich erntete einen strengen Blick von Konrad: „Lach nicht. Strategisch ist sie hervorragend. Und ihre Miese Magische Energie ist so stark, dass sie dich nur anatmen muss, dann haut es dich schon von deinen zierlichen Pfoten.“

 

Ich hatte schon erwähnt, dass ich Konrad nicht mag, oder? Ich sparte mir eine entsprechende Antwort, denn Konrad überreichte mir – mit einem weiteren spöttischen Blick – eine Schriftrolle.

 

„Das sind die, von denen ich sicher weiß, dass sie derzeit im Zauberwald und in der menschlichen Welt im Einsatz sind. Mehr habe ich nicht. Minna hat die Geheimhaltungsstufe erhöht und traut mir nicht im Gegensatz zu ihrem Vorgänger Nero.“

 

Schnell rollte ich das Papier aus; die Liste war kurz, nur 20 Namen fanden sich darauf. Die ersten 17 sagten mir gar nichts, aber – da – als vorletztes und letztes standen Mathilda und Rosalie, unter Wilma. Eine Wühlmaus, der ich in der Tat schon mal begegnet war. Snowflake dagegen pfiff durch die Zähne, eine lustige Angewohnheit von ihm.

„Ok, die kenne ich alle. Sind in der Tat ein paar Überraschungen dabei. Unschön.“

 

 

Eine Mädchengestalt mit roten Schmetterlingsflügeln kniet auf einem Dielenboden. Ihre Hände sind gefaltet. Sie trägt ein blau-weiß schimmerndes Kleid. Es handelt sich m eine Fee.
Eine Fee. Freies Foto von Pixabay.

Doch bevor er weitersprechen konnte, gab uns Konrad ein Zeichen, still zu sein. Schnell rollte ich die Liste zusammen und verstaute sie in meinem Lederbeutel. Gerade noch rechtzeitig, denn am Rande der Lichtung erschien schimmernd und klingelnd eine Fee, die direkt auf uns zuflog. Gut, Konrads Sinne sind schon beeindruckend, hatte er sie doch offenbar bereits wahrgenommen, als sie noch von den Bäumen verdeckt gewesen war. Bei uns angekommen, stellte sie sich vor (Mary-Jane) und fragte, ob sie die Nacht bei uns am Feuer verbringen könne, es sei noch so weit bis nach Hause und sie sooo müde. Sowohl Snowflake als auch erstaunlicherweise Konrad erlagen ihrem Charme sofort – und stimmten zu. Mir dagegen taten die Ohren weh von dem hellen Stimmchen und dem permanenten Gekicher und mir wurde noch schwindeliger.

 

Eine Zeitlang hörte ich den dreien bei ihrer Unterhaltung zu, dann begann ich merkwürdig schläfrig zu werden. Kurz bevor ich in einen seltsam-unangenehmen Halbschlaf sank, sah ich aus einem Auge, dass es Konrad und Snowflake offenbar ähnlich erging – ihre Köpfe sanken wie meiner auf die Pfoten.

 

„Hey, weg da! Was tust du da?“, fauchte ich und fuhr hoch.

Mit einem Satz stand ich taumelnd neben meinem Lederbeutel und starrte mit gesträubtem Fell und bereit für eine Auseinandersetzung auf … – nichts.

 

„Alles klar, Kumpel?“, hörte ich Snowflake müde fragen. Er war wohl von meinem Fauchen aufgewacht und blinzelte nun verschlafen zu mir herüber. Ich antwortete nicht, sondern inspizierte eilig meinen kleinen Lederbeutel. Gut, die Liste war noch da – und genauso unordentlich zusammengerollt wie in der Nacht. Nach Konrads Warnung war ich ein bisschen hektisch geworden und hatte das Papier nicht besonders sorgfältig eingerollt und eilig in den Beutel gestopft.

 

„Was? Ja, schon. War wohl nur ein Traum“, antwortete ich Snowflake nun endlich. „Dachte, diese Fee hätte – egal.“ Ich schüttelte mich.

 

„Dir bekommt Feen-Magie wirklich nicht“, stellte Snowflake mitfühlend fest, als er mich betrachtete. „Du siehst völlig zerrupft aus.“

Ich sah mich um, um mich ein bisschen zu orientieren. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, das kleine Feuer fast heruntergebrannt und von Konrad und der Fee keine Spur.

„Wo sind denn unsere nächtlichen Gäste hin?“, fragte ich, seine Bemerkung übergehend, misstrauisch.

„Ach“, sagte Snowflake leichthin, „Konrad macht das immer so, dass er in der Nacht noch verschwindet, damit ihm niemand folgen kann. Und Mary-Jane“, seine Stimme kiekste dabei leicht, „hat gestern noch gesagt, dass sie sehr früh aufbrechen muss.“

Na, gut. Wahrscheinlich war es wohl wirklich nur ein Traum gewesen. Dennoch wollte ich jetzt einfach nur den Rückweg antreten. „Lass uns bitte schnell diesen verdammten Feenwald verlassen.“

 

Snowflake stimmte zu und so machten wir uns nach einem schnellen Frühstück auf den Weg. Mir hing der Traum noch eine Weile nach und so war ich nicht sonderlich gesprächig, bis wir endlich aus dem Feenwald heraus waren. Hin und wieder warf ich einen Blick auf mein magisches Funkgerät, es gab aber keine Nachrichten von Tasso. Trotzdem wurde ich immer unruhiger– und so schlug ich ein sehr schnelles Tempo an und bestand darauf, die Pausen wirklich kurz zu halten. Snowflake warf mir hin und wieder einen besorgten Blick zu, sagte aber nichts. Am späten Vormittag des Folgetages erreichten wir den Zauberwald.

 

Als wir auf dem Versammlungsplatz ankamen, herrschte dort schlicht Chaos. Ungefähr die Hälfte aller magischen Tiere hatten Maxi, drei weitere Gorillas und den armen Panda Pat (das zweite Vorstandsmittier) regelrecht umzingelt – und riefen laut und in Panik durcheinander in ihre Richtung. Während wir versuchten, uns zu Maxi durchzudrängeln, hörten wir Maschas Stimme von einem Baum.

„Bitte geht erst mal in eure Unterkünfte. Lasst Maxi doch Zeit, das zu klären. Bitte geht. Wir informieren euch dann.“ Mascha ist schon immer ein sehr geschätztes Mittier im Zauberwald gewesen – und so erreichte sie auch heute ihr Ziel. Die Menge zerstreute sich, wenn auch nicht begeistert – und Maxi, Pat und die drei Gorillas konnten aufatmen.

 

„Was ist denn hier los?“, erkundigte ich mich bei Maxi, als ich endlich vor ihr stand.

 

„Beim heiligen Gorilla, ihr seid zurück!“, rief sie aus – und begann sogleich zu erzählen. Die Bewohner*innen des Zauberwaldes waren wohl kurz nach Sonnenaufgang von einem Feuer geweckt worden. Es war – Überraschung, oder auch nicht – die Unterkunft von Mathilda, Rosalies Schwester, die in Flammen gestanden hatte. Mein Pelz begann unangenehm zu kribbeln, während Maxi weitersprach:

„Von Mathilda fehlt jede Spur. Wir haben inzwischen den halben Wald nach ihr abgesucht – nichts, keine Spur – und die Gerüchteküche kocht über, wie ihr euch denken könnt.“

In der Tat. Das konnte ich mir gut vorstellen, da sind wir magischen Tiere manchmal wie viele von euch Menschen.

 

„Ich wollte gerade meine drei Brüder“, sie zeigte auf die drei Gorillas neben ihr, „instruieren und zu der Wohnung von diesem Heinz, also Rosalie in Menschengestalt, schicken, als die Panik um sich griff. Irgendwer hatte den Verdacht geäußert, dass die Unheilvollen …“

 

Ich hörte Maxi nicht mehr richtig zu. Kurz streifte mein Blick über ihre Brüder, eindeutig Drillinge und beeindruckend muskulös und groß. Mit denen würde ich mich auch nicht anlegen wollen, dachte ich, während ich zum 100. Mal das verflixte Funkgerät checkte. Noch immer nichts von Tasso.

„Lass!“, unterbrach ich Maxi, „ich mach das selbst.“ Kaum ausgesprochen, konzentrierte ich mich und sprang in eure Dimension.

 

Ich landete zu meiner Überraschung direkt im Flur der Wohnung von Rosalie/Heinz, nicht wie angepeilt vor dem Haus. Oha, die Barrieren aus Mieser Magischer Energie waren eindeutig fort – sonst wäre eine Landung in der Wohnung nicht möglich gewesen. Ich war zu spät gekommen. Verdammt. Rosalie war genau wie ihre Schwester geflohen.

 

Noch bevor ich von dem Schreck erholt hatte, hörte ich Pfotentappsen und Tasso streckte seinen Kopf durch die Wohnzimmertür in den Flur.

 

„Da bist du ja endlich. Ich konnte nichts machen“, begann er sofort zu erzählen, auf eine ausführliche Begrüßung verzichtend, „sie ist im Morgengrauen aufgebrochen – und du hast auf keine meiner Nachrichten reagiert – und ohne Magie – ich kann doch nur knurren und bellen. Naja, und da sie die Wohnungstür offengelassen hat, bin ich reingegangen, aber …“ Tasso redete und rechtfertigte sich ohne Unterlass.

 

Sanft stoppte ich ihn: „Mach dir keine Vorwürfe. Das Mistding (ich meinte das Funkgerät) ist ganz offensichtlich im Eimer. Und alleine hättest du gar nichts tun können.“

 

Ich begann, mich in der Wohnung umzusehen. Bad, Flur und das Zimmer zur Straße waren leer und blitzeblank sauber.

 

„Guck mal in die Küche“, murmelte Tasso noch immer bedröppelt.

 

Gesagt, getan. Auf den ersten Blick fiel mir nix auf.

„Da in der Spüle“, Tasso bewegte den Kopf in die entsprechende Richtung.

Eilig kletterte ich auf einen Stuhl, um einen besseren Blick in das Abwaschbecken zu haben. Da lag das Halsband der Steinernen Katze – oder besser das, was davon noch übrig war. Ein verkohltes schwarzes Etwas. Das hatte eins mit magischem Feuer abgefackelt. Entsetzt schloss ich kurz die Augen und inspizierte rasch das letzte Zimmer, das auf den ersten Blick ebenfalls klinisch rein wirkte.

Moment, nicht ganz: In der Nähe des Fensters zum Hof glitzerte etwas auf dem Fußboden. Vorsichtig näherte ich mich der Stelle. „Verdammter Feenstaub!“

 

Nein, dieses Mal war das kein Fluch von mir. Vor dem Fenster lag wahrhaftig bunt glitzernder Feenstaub. Das Zeug verlieren Feen durch das Flattern ihrer Flügel. Der Menge nach zu urteilen, hatte hier am Fenster eine Fee eine Zeitlang in der Luft geschwebt. Damit war klar, was passiert war:

 

Rosalie und Mathilda waren gewarnt worden und zwar definitiv von einer Fee. Ich stöhnte gequält auf.

 

„Sagst du mir was los ist?“, fragte mich Tasso. So berichtete ich ihm von Snowflakes und meinem Treffen mit Konrad, dem nächtlichen Besuch der Fee – und von meinem Traum, der eben doch kein Traum gewesen war:

 

„Ich habe es gesehen, verstehst du“, redete jetzt ich aufgeregt auf Tasso ein. „Diese Fee namens Mary-Jane ist wirklich an meinem Lederbeutel gewesen! Es war kein Traum. Ich habe das in diesem merkwürdigen Dämmer- oder Halb-Schlaf wirklich beobachtet. Sie muss sich die Liste mit den Namen angesehen und die Tiere, die draufstehen, gewarnt haben. Doch in dem Moment, als ich richtig zu mir kam, war sie schon verschwunden …“ Ich musste Luft holen. „Sie ist eine Spionin!“

 

Ich ließ mich kurz zu Boden fallen. Das war neu. Bislang hatten die Unheilvollen keine Kontakte zu den Feen gepflegt. Jedenfalls soweit mir bekannt war.

 

Ich ging kurz die Fakten durch und überlegte, was das alles bedeutete. Erstens: Anna war Heinz los. Das war grundsätzlich gut, auch wenn es dann schon wieder eine neue Person geben würde, die für sie zuständig sein würde. Schlimmer konnte es allerdings kaum werden. Es sei denn … Ok, zweitens: Ich musste dringend ins Amt, um zu checken, ob Rosalie meine Änderungen an Annas Bescheiden noch rückgängig gemacht hatte oder ob sie erst durch Mary-Janes Auftauchen begriffen hatte, was das Halsband für ein Gegenstand war (=> 6. Die Bewährungsprobe8. Ämterchaos - Unerwartete Schwierigkeiten). Drittens: Wir brauchten nach dem Verschwinden von Mathilda schon wieder ein neues Vorstandstier. Reger Verschleiß in der letzten Zeit. Und viertens bei den Feen gab es eine, die mit den Unheilvollen zusammenarbeitete – uff.

 

Ich sah Tasso an: „Ich muss zurück in den Zauberwald. Willst du nicht mitkommen?“

Er schüttelte den Kopf. „Lass mal. Ich habe keine Lust auf eins dieser magischen Trampoline.“ Ach, ja. Mit dem Verlust seiner Magie hatte er ja auch die Fähigkeit des Dimensionenspringens verloren.

„Na, los. Geh schon. Wir sehen uns, wenn du zurück bist“, er stupste mich mit seiner extrem feuchten Nase an. Ich sprang zurück in den Zauberwald und eilte zu Maxis Unterkunft.

 

Dort wurde ich von ihr, Pat und Snowflake schon ungeduldig erwartet.

 

„Rosalie ist auch weg“, setzte ich die drei in Kenntnis – und berichtete vom Feenstaub und meinem Traum, der doch keiner gewesen war.

Snowflake fluchte: „Gut für Anna & Co, mies für uns.“

Maxi lief nervös auf und ab, wie immer, wenn sie angestrengt nachdachte.

„Ok“, sagte sie schließlich. „Zunächst wählen wir ein neues Vorstandstier, damit wir handlungsfähig sind. Direkt danach“, sie wandte sich an Snowflake, „suchst du Karina, die Ewige auf.“

Wen? Ich musste verwirrt geguckt haben, denn mein Freund warf mir einen spöttischen Blick zu:

„Die Oberfee, wie du sie nennst.“

Ah.

Maxi fuhr fort: „Parallel schicke ich Björn, Ben und Boris (sie meinte ihre Brüder) los, jeweils mit einer Schar magischer Wiesel. Wäre doch gelacht, wenn wir die Geflüchteten nicht ausfindig machen würden.“

 

Gute Idee, dachte ich, unsere Wiesel sind hervorragende Spürnasen – und trollte mich mit den anderen zusammen auf den Versammlungsplatz, für die Wahl eines neuen Vorstandstier. Ihr kennt das ja schon (=> 5. Ein Elchabenteuer und seine Folgen).

 

Ich ließ mich gemeinsam mit Mascha und Snowflake direkt vor dem Podest, auf dem Maxi die Wahlzeremonie eröffnete, nieder. Diesen Moment, in dem di:er jeweilige Vorsitzende den Namen aus dem großen Kessel zieht, finde ich jedes Mal wieder spannend. Als Maxi verkündete, wer die Nachfolge für Mathilda antreten würde, brach großer Jubel unter den versammelten Magischen Tieren aus; offenbar war Spring (wie das engl. Wort für Frühling) äußerst beliebt. Nur ich kannte wieder nichts und niemanden. Ich war in den letzten Jahren einfach zu selten im Zauberwald gewesen. So verfolgte ich neugierig, wie sich eine hellgraue, zierliche Katze anmutig den Weg durch die Menge bahnte – und elegant auf das Podest sprang. Als sie sich umdrehte und auf den Platz schaute, trafen sich unsere Blicke – und ich sah in die wunderschönsten grünen Augen aller Universen. Für einen Moment schien die magische Welt still zu stehen, als Spring in meine Richtung blinzelte, dann hörte ich Snowflake neben mir raunen:

„Merlin, mach wenigstens den Mund zu.“

Sowohl er als auch Mascha sahen mich amüsiert an, wie ich feststellte, als ich es schaffte, den Blick zumindest kurz von Spring abzuwenden.

 

Nachdem Maxi Spring vereidigt hatte und in ein paar kurzen Sätzen erklärt hatte, was sie wegen der Unheilvollen zu unternehmen plante, löste sich die Menge nach und nach auf. Als auch der Vorstand Anstalten machte, das Podest zu verlassen, sah sich Spring noch einmal zu mir um – und blinzelte erneut. Mir wurde schwindelig, schwindeliger als von Feen-Magie.

„Mund zu“, kommentierte Snowflake erneut, während seine Mutter mich anstupste.

„Los geh zu ihr!“

„WAS? Was soll ich denn sagen?“

Mascha seufzte: „Gratulier ihr einfach.“

Ah, ja. Klar. So ging ich also auf Spring zu, die ihrerseits gerade ein paar Schritte in meine Richtung machte. Voreinander stehend trafen sich erneut unsere Blicke, bis Spring schließlich sagte:

„Ja?“ Klang ein bisschen amüsiert.

„Ich – äh. Wollte …“ Ich verlor den Faden und fixierte den Boden. „Gratulieren. Ich wollte dir gratulieren. Also zur Wahl.“ Große Katze im Himmel, was war los mit mir?

„Danke dir“, antwortete sie freundlich. Dann fragte sie leise, ohne den Blick von mir abzuwenden: „Ich habe noch eine Stunde Zeit, bevor ich zur ersten Vorstandssitzung muss. Wollen wir vielleicht ein Stück spazieren gehen? Zu dem kleinen See?“ Sie machte ein Kopfbewegung Richtung Wald.

„Äh, ja. Gern. Also, ja, sehr gern. Eigentlich.“, stammelte ich vor mich hin. Meine Güte, was war mit mir los? Ich war doch kein Teenie mehr. Ich atmete tief durch und überlegte. Mittlerweile war es später Nachmittag – und ich wollte vor Einbruch der Nacht wieder bei Anna&Co sein und musste vorher noch ins Amt. Aber ein Stündchen war noch drin. Ich nickte also zustimmend.

 

Was soll ich sagen? Es war unbeschreiblich zauberschön mit ihr an dem kleinen Waldsee. Wir sprachen wenig bei diesem ersten Treffen (was eindeutig besser war, denn ich konnte noch immer keine vernünftigen Sätze bilden), wussten fast nichts voneinander – und doch fühlte es sich an, als würde ich sie ewig kennen. Warm und vertraut. Sie ist die bezauberndste Katze, die ich je kennengelernt habe. Ja, ich kann es nicht leugnen, ich bin ziemlich ein bisschen sehr verliebt. Die Stunde verging wie im Flug und nach der Verabschiedung (inkl. einer Verabredung für das nächste Wochenende) sprang ich durch die Dimensionen in das (ehemalige) Büro von Rosalie/Heinz.

 

Machen wir es kurz an dieser Stelle: Rosalie war es glücklicherweise nicht gelungen, meine mit Hilfe der Magischen Feder vorgenommenen Änderungen an Annas Bescheiden rückgängig zu machen. Ich war erleichtert. Das merkwürdige Schränkchen in der Ecke stand nun offen – und war leer. Wahrscheinlich hatte sie es sicherheitshalber ausgeräumt, als sie bemerkte, dass die Bescheide magisch bearbeitet worden waren. Schade, ich würde nie erfahren, was sie dort aufbewahrt hatte. Rasch eilte ich zu Anna&Co – und kam gerade rechtzeitig an, um alle in den Schlaf zu schnurren.

 

Noch ein kleiner Nachtrag: Da es in Ämtern elend lang dauert, eine Stelle neu zu besetzen, ist derzeit noch offen, wie es für Anna dort weitergeht. Tja, und was die Lage in der Magischen Welt angeht, ist ebenfalls alles noch unklar. Ich werde berichten, sobald ich mehr weiß.

 

 

Soweit für heute, ich hoffe, ihr hattet Spaß an der Geschichte. Wie immer könnt ihr mir gern hier oder auf meinen Social Media Accounts einen Kommentar hinterlassen.

 

Bis bald, es grüßt euch herzlich euer Merlin. 

Foto eines weißen Meerschweinschens, im Gesicht braune und schwarze Fellanteile. Es schaut direkt in die Kamera.
Minna, die Meersau. Freies Foto von Pixabay.

Nachtrag: Erstaunlich, was eins so in eurem Internet findet! Das hier ist Minna, die neue Anführerin der Unheilvollen. So klein und doch so mächtig.

Kommentare: 3
  • #3

    Noch ein Merlin :-) (Dienstag, 09 Mai 2023 19:28)

    Wieder eine wunderbare Geschichte, die mit den Vorherigen das Bild immer größer und mitreißender werden lässt. Es macht einfach Spaß, das Lesen, das Abtauchen in eine magische Welt, vor allem dann, wenn die Realität mal wieder versucht einiges zu vermiesen.
    Bei mir setzt eine warme Entspannung beim Lesen ein. Und auch Nachdenken. Manches ist plötzlich etwas leichter. Woran das liegt?
    Tja..., wahrscheinlich weil ich zwar schon 60 Jahre auf dieser Erde weile, aber trotzdem jung geblieben bin. Und das sind sicher auch sehr viele LeserInnen, oder besser Fan's :-)
    Wir können halt noch was anfangen, mit Feen Magie, Feenstaub und knurrenden Kaninchen und vielen mehr ;-) Erinnern wir uns immer daran.

    Danke lieber Merlin und liebe Grüße an Anna und alle anderen.

  • #2

    @energiepirat (Dienstag, 09 Mai 2023 18:14)

    Lieber Merlin, das ist ja echt herausfordernd. Super Geschichte, Spannend. Man könnte das verfilmen, in einer ernsthaften Weise, Wunderbar. Ich freue mich auf Fortsetzung. Ein Meerschweinchen als Chefin der Unheilvollen. Interessant. Ich hoffe, dass die Akten wiedergefunden werden.
    Gruß
    Thomas

  • #1

    Zuberly (Dienstag, 09 Mai 2023 18:06)

    Liebe Merline
    vom Zuberly ganz viel Glück & weiterhin
    Musse und künstlerisches Geschick für deine so hinreißenden Fantasy-Story‘s❗️

    Liebe Grüße
    Carmen