"Viermal Nudeln ohne alles, bitte"

CN Essen

 

Miau und hallo, meine zauberhaften Leser*innen,

 

wie schon in der Geschichte Ein fast perfekter Sommertag möchte ich mich auch mit diesem Text auf die Umfrage aus dem März 2023 beziehen, in der ich auf meinen Social Media Accounts gefragt hatte, ob es etwas gibt, was ihr zu DIS und/oder Traumafolgen wissen wollt oder ob ihr euch eine spezielle Geschichte wünscht. Heute geht es um die Frage, wie einig sich Anna & Co bei so Alltagsdingen sind, welche Vorlieben einzelne oder alle haben – und wie bestimmte Sachen dann entschieden werden. 

 

Nun, wir hatten hier erst vorgestern wieder eine Situation, die das vielleicht ganz gut erklärt. Also, ich lag nach einer ausgiebigen Fellpflege auf dem Balkon in der Sonne, als ich Anna in der Küche schimpfen hörte.

„Orr. Leute, so kann ich nicht arbeiten.“

 

Das klang sehr danach, als gebe es wegen irgendwas innen Stress, verflixt. Doch bevor ich mich auf dem Weg zu ihr machen konnte, erschien sie schon mit Notizbuch, Stift und Kaffee auf dem Balkon und ließ sich auf dem Stuhl mir gegenüber nieder und starrte schweigend und offenbar genervt vor sich hin.

Kurz überlegte ich, dann ahnte ich das Problem.

„Ich vermute mal, es geht um die Essensplanung für die nächste Woche?“

Anna versucht das immer sonntags mit einigen Anteilen zusammen zu machen; es essen halt nicht alle alles, wie ihr euch denken kennt.

„Jupp“, bestätigte Anna meine Vermutung.

„Lass mich raten: viermal ‚Nudeln ohne alles‘?“

(‚Nudeln ohne alles‘ ist das absolute Lieblingsessen der Kleinen und eigentlich gar nicht ‚ohne alles‘. ‚Ohne alles‘ bedeutet hier eigentlich ohne Gemüse stattdessen mit etwas Ziegenkäse, Knoblauch, Kräutern und Olivenöl. Schnell gemacht und lecker – aber natürlich kein Essen für jeden Tag.)

„Jupp“, Anna seufzte und zupfte frustriert an einer Pflanze herum.

„Und die Vorschläge für die restlichen drei Tage?“ Mau, manchmal muss ich Anna jedes Wort aus der Nase ziehen.

„Sind ok. Janni (ein etwa 5-jähriges Innenkind) will einen großen Salat. Lizzy wünscht sich Gnocci mit Blattspinat und ich habe mir Bratkartoffeln gewünscht. Alles akzeptiert.“

 

Ich mag Gnocci zwar lieber ohne das Grünzeug, aber gut. (Ja, ich finde die auch lecker und die lassen sich so prima vom Teller angeln, wenn wieder mal niemensch aufpasst.) Ich habe bei dieser Frage aber natürlich kein Mitspracherecht, sondern nur eine Beratungsfunktion. Während die meisten von Annas Innenkinder Gemüse nicht so wirklich mögen, steht der kleine Janni dagegen total auf gesundes Essen. Eine Zeitlang war seine Standardfrage bei jedem Lebensmittel, ob das auch ganz wirklich ganz gesund sei. Für Anna ist das echt hilfreich. Alle Vorlieben und Abneigungen beim Essen unter einen Hut zu bringen und gleichzeitig für Ausgewogenheit zu sorgen, ist ein anstrengender Job für Anna. Da ist so ein bisschen Unterstützung von Janni für gesunde Sachen schon gut.

„Also brauchen wir noch drei Mahlzeiten?“, fragte ich.

„Jupp, einmal ‚Nudeln ohne alles‘ ist ok.“

Hmm. Anna hatte offenbar nicht vor, gesprächiger zu werden und so ging ich in Gedanken Annas Standard-Gerichte durch.

„Wie wäre es mit Zucchini-Kartoffel-Auflauf?“, wagte ich mich schließlich vor.

„Oh, nö! Nicht schon wieder Zucchini. Schlägst du jetzt als nächstes was mit Auberginen oder Eiern vor?“, Ricky platzte laut und verärgert raus. Ricky ist etwa zwölf und mag neuerdings wohl keine Zucchini mehr. Schade. War bisher eine der Gemüsesorten, auf die sich alle einigen konnten. Auberginen und Eier hassen alle; das steht nie zur Debatte; die Anspielung darauf war nur Rickys Art, mir unmissverständlich klar zu machen, das Wort Zucchini besser nicht mehr zu erwähnen. Nun, gut. Dann nicht.

Vielleicht noch kurz eine Erklärung: Wenn ich an einer solchen Konferenz (egal, zu welchem Thema) teilnehme, sprechen die Anteile laut, damit ich, auch ohne mein magisches Gehör (=> Geschichte 2. Wie alles anfing) zu benutzen, alles mitbekommen kann. Wenn Anna & Co ohne mich eine solche Besprechung machen, findet das nur im Inneren statt. Ihr könnt euch das aber schon so vorstellen, wie eine Konferenz oder eine Familienbesprechung, bei der alle zusammensitzen. Nur in einer Person halt.

„Vanillepudding mit Johannisbeeren“, kam sehr piepsig und zaghaft der nächste Vorschlag von Finja, etwa vier Jahre alt. Das war ihr absolutes Lieblingsessen.

„Gehen auch Blaubeeren?“ Anna versuchte zu verhandeln, wusste sie doch zu genau, dass es kräftemäßig sein konnte, dass Johannisbeeren zu zupfen, nicht drin war. Das Kochen etc. ist für Anna sowieso schon sehr anstrengend – und wenn es ein harter Tag mit einem hohen Erschöpfungslevel war, konnte das schon zu viel sein. Blaubeeren sind da einfacher. Zum Glück stimmte Finja zu. Blaubeeren mag sie auch sehr gern.

„Lauch-Kartoffel-Auflauf“, ich unternahm den nächsten Versuch für einen Vorschlag für Mahlzeit Nummer sechs.

„Aber nicht wieder so scharf“, protestierte Janni sofort. Beim letzten Auflauf dieser Art hatte Ricky heimlich ordentlich Curry reingetan, weil es ihr sonst zu langweilig war.

„Ich pass‘ auf“, versprach Anna. „Ok, und nächsten Sonntag gibt es einfach Haferbrei mit Banane und Birne, ok?“, versuchte sie die Planung nun zum Ende zu bringen. Und – oh, Wunder – es regte sich kein Widerspruch. Sah so aus, als hätten wir es geschafft. Anna wollte gerade in die Küche zurück gehen, um die Einkaufsliste zu machen, da forderte Lia vorwitzig:

„Und Kekse zum Frühstück!“, wohlwissend, dass Anna das nicht durchgehen lassen würde.

„Never ever“, konterte Anna daher erwartungsgemäß und lachend.

Die Kleinen lieben es, mit Keksen oder Schokolade zu frühstücken – und ein paar Mal im Jahr, an besonderen Tagen, dürfen sie es auch. Sofern Anna daran denkt, etwas Süßes auf die Einkaufsliste zu setzen und es nicht wie dieses Jahr am Geburtstag vergisst. Seufz. Der Mann im Kiosk hat echt komisch geguckt, als ich ihm die 1,50 Euro auf den Tresen fallen ließ und mir eine Tafel Schokolade geschnappt habe. Aber ich konnte die Kleinen doch nicht ohne Schoki lassen, miau.

 

Also, so ist es bei vielen Alltagsthemen: Anna und die anderen versuchen es auszuhandeln, was z.B. in der Freizeit gemacht wird, welche Klamotten getragen werden oder was eben gegessen wird, wer wann Zeit für sich bekommt, um zum Beispiel Musik zu hören, die die anderen nicht mögen. Und das ist viel Arbeit, wie ihr euch nun vielleicht vorstellen könnt. Die letzte Entscheidung obliegt immer Anna, da sie Innen und Außen die Verantwortung trägt und den Überblick behalten muss. Bei weitreichenden Entscheidungen ist das natürlich alles noch viel komplizierter. Eins noch: Was ich hier schreibe, gilt für Anna & Co; andere Menschen mit DIS handhaben das u.U. anders.

 

So weit für heute, meine Zauberlehrlinge. Ich hoffe, ihr hattet ein wenig Spaß beim Lesen und könnt euch ein bisschen besser vorstellen, wie das Leben hier so aussieht. Wie immer dürft ihr gern einen Kommentar schreiben, hier oder auf meinen Social Media Accounts, wie ihr mögt. Ich freue mich immer sehr über Rückmeldungen. Bis bald, wir lesen uns.

 

Es grüßt euch herzlich euer Merlin.  

 

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Kommentare: 4
  • #1

    Theresa (Dienstag, 12 September 2023 14:52)

    Ganz ehrlich, so läuft das hier auch. Inklusive Schokolade vergessen. Und plötzlich überhaupt nicht mehr wissen was lecker sein könnte. Raubt viel Kraft. Nen Kater zum Einkaufen müsste man haben...

  • #2

    Jule (Mittwoch, 13 September 2023 17:41)

    Danke für die Geschichte und dafür, dass es euch gibt. Jule

  • #3

    firefly (Mittwoch, 13 September 2023 19:14)

    genau - und ohne plan einzukaufen führt zu erstaunlichsten ergebnisse

  • #4

    Esther P. (Donnerstag, 21 September 2023 11:50)

    Hmmm, da bekommt man direkt Hunger, ich finde, das klingt alles lecker! Vielen Dank, dass Du uns auch die Herausforderungen des Alltags von Anna & Co aufzeigst! Liebe Grüße an diese und natürlich an Dich :-)